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22.-27.7.2022

Vom Stienitzsee zurück nach Köpenick und in den Hafen Tempelhof

Von Natur pur im Naturschutzgebiet zurück in die wahre Urbanität

Am Abend reisen Regina Piotrowski und Detlev Hebeisen mit dem Zug aus der Schweiz an. Pünktlich am Hauptbahnhof angekommen lernten sie bei der Suche nach der S-Bahn die direkte Berliner Art kennen. Schnell, direkt, schroff. Aber man gewöhnt sich daran. Der angepeilte Hafen am Stienitzsee ist weder mit Google Map noch mit dem Taxi zu erreichen. Mit den Koordinaten ist der Ort schon definierbar, aber es ist alles in einem grünen Fleck und die verwundenen, mit dünnem und weichem Sand versehenen und nicht mit Rollkoffer begehbaren Waldwege mit vielen Kreuzungen sind nicht eingezeichnet. Das Wald- und Buschwerk ist sehr dicht und darum ist auch auf Google Satellit kein Weg erkennbar. Nicht so schlimm? Doch. Bis zur nächsten Strasse ist es über einen Kilometer. Unauffindbar. Kalle, der Hafenmeister half uns, unsere Gäste von der nächsten S-Bahn-Station mit seinem Auto abzuholen. Mit einem Stroganoff mit frischen Bohnen, mit Bohnenkraut, gewöhnt man sich schnell an die Bootsatmosphäre. Der See ist Natur pur, an einer Ecke ist eine Badi eingerichtet, sonst zieren keine sichtbaren Gebäude die Gestade. Nach dem Erwachen glitten wir denselben Wasserweg zurück nach Köpenick wie am 21.7.2022. Nach kurzer Fahrt über den See peilten wir den Einstich in den Kanal der Rüdersdorfer-Gewässer an. Alles ist verwachsen, ohne Beschriftung und GPS unauffindbar. Der erste Seitenkanal bestach durch tiefe Brücken, geringe Wassertiefe, schmale Furt und unübersichtliche Kurven. Ideal für unser Boot! Smile. Die Fahrt erinnerte mich an den Filmklassiker Werner Herzogs «Fitzcarraldo» mit Klaus Kinski, bei dem er als Tenor und Rollenekel mitten im Amazonasgebiet eine Oper bauen wollte. Aber irgendwie fuhr er mit dem sicher für hundert Personen gebauten Schiff in einen falschen Seitenarm, und er musste das ganze Schiff samt Passagieren von Eingeborenen über einen Hügel in den nächsten Amazonasarm ziehen lassen. Kinski war nicht nur im Film ein Ekel und Herzog meinte mal in einem Interview: die Eingeborenen hätten ihn gefragt, ob sie Klaus umbringen sollen. Er hätte nur nicken müssen und Kinski wäre in einem Sarg zurück nach Deutschland gekommen. So irgendwie war das bei dieser Fahrt. Beim Kilometer zwei der Rüdesdorfer-Gewässer fuhren wir noch einen kleinen Abstecher in die Löcknitz. Wieder ein kleines Gewässer, aber wir versuchten es. Nicht so verwunschen wie die Kinski-Fahrt, dafür mehr schwimmende Badetouristen, Wassertöffs, Stehpaddler, Gummiboote mit und ohne Motor, befinden wir uns doch in einem beachtlichen Naherholungsgebiet Berlins. Wir sind bis heute schon viele niedere Brücken gefahren. Nun haben wir die Masse der Parcosola ausgereizt. Zentimeter um Zentimeter näherten wir uns dieser bereits in den Karten als tief beschriebenen Brücke, analysierten mit unseren Augen die Brückenhöhe und bezeichneten das Mass der Unterfahrt mit: «Ouw, das wird knapp» - und glitten unten durch. Schrammten wäre eigentlich der richtige Ausdruck gewesen. Beim letzten Betonunterzug der Brücke kratzte der Flansch des herabgeklappten Instrumententurms. Genau manövriert! Nein. Glück gehabt. Ein entgegenkommendes Boot hätte in blosser Vorbeifahrt mit seinem Wellenschlag den ganzen Instrumententurm demoliert. Beim Zurückfahren mussten wir aber dieselbe Stelle wieder passieren. Mein lebenslang geschultes Gebäudetechnikauge erkennt natürlich in jedem Raum sofort, welches Rohr krumm oder schräg montiert wurde. So fiel mir bei der Brücke auf, dass steuerbordseitig die Brücke einige Zentimeter höher sein musste und somit die ganze Fahrbahn mit etwas Gefälle konstruiert war. Ich hatte Recht: bei der Rückfahrt unterquerten wir die Brücke ganz links und hatten wirklich zwei Zentimeter Luft. Irgendjemand hat was von Neurochirurgenarbeit gesagt, das habe ich aber nicht verstanden. Bei der einzigen Schleuse und einem Manöver um enge Pfeiler ist dann ein Elektromotor ausgefallen, aber sonst war die Rückreise nach Köpenick ereignislos.

Von Köpenick nach Berlin Tempelhof, tags darauf, führte uns die Wasserstrasse denselben Weg zurück über den Teltow-Kanal. Wir leisteten uns aber einen Abstecher auf der Spree in die City der Hauptstadt. Vorbei an unzähligen Bade-, Flanier- und Freizeitanlagen, dem Treptowerpark, mächtigen Industriebauten von Vattenfall Wärme und Energie- und den Spenner Zementwerken und alten Scheinwerferkandelabern der Ex-DDR-Grenzsicherung. «Einfach nochmals zur Erinnerung: die Abschottung galt nicht denen, die hineinwollten, sondern, damit keiner abhauen konnte». Weiter auf der Spree bis zur aufwändig gestalteten Oberbaumbrücke. Sie gilt als die schönste Brücke in Berlin. Da getrauten wir uns nicht mehr unten durch, obwohl wir tags zuvor eigentlich genügend trainiert hatten. Modernste Verwaltungs-, Büro- und Kulturveranstaltungsbauten dekorierten die Ufer und begleiteten den Weg in das urbane Berlin. Locker steht «Molecule Man», das dreissig Meter hohe und fünfundvierzig Tonnen schwere, aus gelochtem Aluminium bestehende Kunstwerk von Jonathan Borowski in der Spree. Die dreifache Assoziation steht für den Grenzpunkt von drei Stadtteilen, die zum Überleben notwendige Vereinigung von Molekülen und für die Vereinigung von Ost- und Westberlin.

Nächster Besuch Alexanderplatz oder einfach Alex benannt. Mit dem Fernsehturm und der Welt-Uhr, unter der jede vernünftige Beziehung in der DDR ihren Start fand. Dort konnten die Paare die Lokalzeiten ablesen von allen Destinationen auf der Welt, wo sie sicher nie würden hinreisen können. Den 368 Meter hohen Fernsehturm, der damit das zweithöchste Bauwerk Deutschlands ist, besuchten wir nicht. Es mussten Slots gebucht werden und solange warten stand nicht auf unserer Prio-Liste. Eine Anekdote noch vom Turm. Bei einem speziellen Sonnenstand wirkte der Turm wie ein Kreuz. Den Rundum-Atheisten Walter Ulbricht trieb dies zum Wahnsinn, und er liess von Arbeitern die Gläser auf dreihundert Metern Höhe matt schleifen. Genützt hat es nichts, aber der hohe Fernsehmast wurde von da an «St. Walter-Turm» genannt. Der Tränenpalast als Abschiedsort beim Grenzübergang Bahnhof Friedrichtstrasse, wo sich die Ostler vor der Wende von ihren Besuchern aus dem Westen mit Vorsehung auf ein Nimmerwiedersehen mit Tränen verabschiedeten, hinterliess Emotionen. Auf der gemieteten Spreefahrt mit freisprechendem Guide gab es vom Schiff aus einen anderen Blick auf die Regierungsgebäude wie Kanzleramt, Reichstag und Schweizer Botschaft, den Hauptbahnhof und den Cube Berlin. Allein für den Nachwuchs der Bundestagsabgeordneten wurde eine Kita mit Sauna und Solarium für fünf Millionen gebaut. Nationaler Hohn und Gelächter blieben nicht aus. Das Nikolai-Quartier war sehr hanseatisch geprägt, wurde aber im Zweiten Weltkrieg bis auf wenige Mauern völlig zerstört. Erich Honegger liess es in DDR-Plattentechnik wieder aufbauen. Als Plattenkitsch oder hanseatische Platte bezeichneten die Berliner von da an das Viertel. Auf dem Touri-Boot begnügten wir uns mit Rotkäppchen-Cüpli und verzichteten auf eine gemeinsame Curry-Wurst.

Zu den Bildern.

About the author

Chrigel Hunziker und Marianne Ott